Reaktive Nano-Multischichten gelten als eine Revolution in der Fügetechnologie. Sie sollen es ermöglichen hitzeempfindliche Materialien miteinander zu verbinden, die bei einem herkömmlichen Lötprozess beschädigt oder zerstört werden würden. Doch das Löten mit Reaktivfolien birgt Tücken bei der tatsächlichen Umsetzung. Nun ist es Empa-Forschenden gelungen, das Fügen mit reaktiven Nano-Multischichten zu verfeinern und unterschiedlichste empfindliche Komponenten schonend und ohne qualitative Einbussen zu verbinden.
(Cornelia Zogg)
Fügen bedeutet – vereinfacht gesagt – verbinden. Zwei Materialien oder Bauteile werden zusammengefügt und ergeben neu ein Ganzes. Ein bekanntes Verfahren zum Fügen ist das Löten: Die Bauteile werden dabei zusammen mit dem Lotwerkstoff – beispielsweise Lötzinn – in einem Ofen erhitzt, woraufhin das Lot schmilzt und eine Verbindung zwischen den Bauteilen herstellt. Doch genau diese Hitze ist nicht für alle Anwendungsbereiche geeignet. Empfindliche Sensorik beispielsweise droht durch die zum Löten notwendige Temperatur beschädigt zu werden. Also blieb bis anhin für komplexe Materialien oder Bauteile nur das Kleben, was im Hinblick auf Qualität und Haltbarkeit mit dem klassischen Löten allerdings bei Weitem nicht mithalten kann.
Folie statt Ofen
Das Fügen mit reaktiven Nano-Multischichten (RNMS) erwies sich hierbei als vielversprechende Alternative: Die Eigenschaften der Fügeverbindung sind deutlich besser als bei der Verwendung von Klebstoffen, und es ist kein Ofen nötig. Bei diesem Verfahren kommt eine RNMS-Folie, auch Reaktivfolie genannt, zum Einsatz. Deren metallene Nano-Multischichten können unter starker Wärmeentwicklung miteinander reagieren. Zum Fügen wird die Reaktivfolie zusammen mit dem Lot zwischen die Bauteilen gelegt. Mittels eines elektrischen Funkens oder eines Lasers wird die Reaktivfolie gezündet. Es entsteht Reaktionswärme, das Lot schmilzt auf, und die Bauteile werden augenblicklich verbunden (siehe Video). Die Hitze entsteht dabei innerhalb kürzester Zeit und ausschliesslich im Bereich der Reaktivfolie. Dadurch kann sie die Bauteile nicht beschädigen oder gar zerstören. Das Fügen mit RNMS gilt daher als exzellente Möglichkeit, hitzeempfindliche Materialien zu verbinden. Die Schwierigkeit liegt dabei in der genauen Dosierung der Wärme: Sie muss einerseits ausreichen, um das Lotmaterial aufzuschmelzen, darf aber andererseits nicht zu hoch sein, damit sie das Material – wie beispielsweise Glas oder Keramik – nicht doch beschädigt.
Das Unkontrollierbare kontrollierbar machen
Diese schwer kontrollierbare Hitzentwicklung ist ein Grund, warum sich das reaktive Fügen bislang noch nicht durchgesetzt hat. Es gilt: je unterschiedlicher die Eigenschaften der zu verbindenden Materialien, desto inkonsistenter das Resultat. Kupfer beispielsweise, ein hervorragender Wärmeleiter, lässt einen Grossteil der entstehenden Hitze der Folie ungenutzt abfliessen. Dadurch kann sich das Lot nicht komplett verflüssigen. Glas als schlechter Wärmeleiter wiederum verhält sich gegenteilig – es kann die Hitze regelrecht aufstauen und durch die lokale Überhitzung beim Lötprozess bersten. Es gibt also keine Universallösung beim Fügen mit RNMS. Forschenden der Empa-Abteilung «Fügetechnologie und Korrosion» rund um Bastian Rheingans und Jolanta Janczak-Rusch ist es nun allerdings gelungen, unterschiedliche und sogar sich gegenteilig verhaltende Materialien mit dieser Technologie zu verbinden. Dazu wird das Fügesystem gezielt auf die Eigenschaften der jeweiligen Materialien angepasst, beispielswiese durch Art und Dicke der Reaktivfolie oder durch die Lotmenge. «So ist es uns gelungen, sogar Kupfer mit Glas zu fügen, ohne dass es zu Schädigungen durch Hitze oder Thermospannungen kommt», erklärt Rheingans. Die Empa-Forscher wollen dieses neu gewonnene Know-how nun der Industrie zur Verfügung stellen und bei der Erarbeitung von Lösungen für komplexe Prozesse Hilfestellung leisten.
Gezielter Aufbau von Know-how
Die Empa-Forscher haben sich in den letzten Monaten im Rahmen eines «interreg»-Projektes – das Regionalprogramm der EU zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – mit der Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung in Villingen-Schwenningen das nötige Wissen erarbeitet, um auch sensitive Materialien mit Hilfe der RNMS-Methode schonend zu fügen. Dabei hilft ihnen mittlerweile eine breite Basis an experimentellen Daten: «Wir verstehen nun, wie welches Material auf das reaktive Fügen reagiert und können so Reaktivfolie und Lotsystem entsprechend anpassen», so Rheingans. Auch komplexe Aufbauten und Bauteile mit mehrstufigen Fügeprozessen lassen sich mittels reaktivem Fügen ohne grosse Investitionen oder technischen Aufwand herstellen. Grosses Anwendungspotential sehen die Forschenden der Empa etwa im Sensorik-Bereich, zum Beispiel im Aufbau von komplexen Sensor-Systemen, der vor-Ort-Montage von Sensoren und der Fertigung von hochwertigen Kleinserien. Aufgrund des flexiblen und einfachen Ansatzes sind jedoch auch Anwendungen in vielen weiteren Bereichen denkbar.