Schweissen, drucken, Beton brechen – ein Empa-Team überwacht lärmerzeugende Prozesse mit Hilfe künstlicher Intelligenz. So lassen sich Produktionsfehler und drohende Havarien buchstäblich heraushören.
(Rainer Klose, EMPA)
Kilian Wasmer aus dem Empa-Labor «Advanced Materials Processing» in Thun schüttelt beim Erzählen immer wieder den Kopf, als könne er die Erfolgsgeschichte selbst nicht glauben. Zusammen mit seinem Team hat er vor kurzem ein System zur Überwachung komplexer Produktionsprozesse patentiert, das sich in unterschiedlichsten Situationen einsetzen lässt. Und dies, obwohl es anfangs für die Idee noch gar nicht gut aussah. «Ich sagte unserem Partner, ich schätze die Erfolgsaussichten auf etwa fünf Prozent. Aber wir werden es trotzdem versuchen», berichtet Wasmer von den Anfängen des Projekts.
Beton im Blitzgewitter
Bei besagtem Partner handelt es sich um die Firma Selfrag aus Kerzers bei Bern. Die Firma stellt Hochvoltgeneratoren her, die mittels Blitzentladung Beton zertrümmern können. Vorteil: im Gegensatz zum Vorschlaghammer, der scharfkantige Betonbrocken mit gespaltenen Kieselsteinen erzeugt, zerlegt die Blitzentladung den Beton in seine Grundbausteine Kiesel, Sand und Zement – wodurch er komplett rezykliert werden kann. Doch bislang gab es keine geeignete Kontrollmöglichkeit, um zu bestimmen, ob der Blitz den Betonklumpen oder den Gesteinsbrocken auch getroffen hatte. Wasmer und sein Team sollten solch eine Methode entwickeln. Wasmers Crew begann, kleine Probekörper aus Plexiglas mit Hochvolt-Blitzen zu bombardieren. Die akustische Signatur eines jeden Blitzes wurde aufgezeichnet und der dazugehörende Plexiglas-Probekörper im Mikroskop auf Risse und Oberflächenschäden untersucht. Sergey Shevchik, Spezialist für künstliche Intelligenz im Team, probierte diverse Strategien aus, um die richtigen Muster aus den Daten zu erkennen. Schliesslich gelang es, erfolgreiche Blitzschläge von Fehlschüssen zu unterscheiden und auch oberflächliche Treffer zu erkennen. Der Erfolg bei der Blitz-Analyse in Echtzeit brachte das Team auf die Idee, auch andere, extrem laute Prozesse zu analysieren: quietschende, ratternde Maschinen.
Wenn Lager fressen und Maschinen sterben
Wenn Wälzlager und andere bewegliche Metallteile unzureichend geölt sind, können sie festfressen. Das Problem verursacht weltweit beträchtliche Schäden. Doch gute Vorwarnsysteme gab es bislang nicht: Temperatursensoren, integriert in gefährdete Bauteile, erkennen eine Temperaturerhöhung leider erst, wenn das Fressen bereits begonnen hat und die Bauteile zerstört sind. Wenn irgendetwas an einer Maschine quietscht, muss das nicht immer Grund für eine Totalrevision sein. Wer seine Produktionsmaschinen häufiger zerlegt und wartet als notwendig, verursacht unnötige Kosten. Wer zu lange wartet, riskiert aber, dass ein bewegliches Bauteil festfrisst und in der Folge weitere Teile der Maschine zerstört. Es gilt also, aus der Fülle von Geräuschen das entscheidende Quietschen herauszuhören – und zwar rechtzeitig, um die Maschine noch stoppen zu können. Wasmers Team liess auf einem Tribometer, einem Reibungsmessgerät, eine Walze aus gehärtetem Stahl auf einer gusseisernen Unterlage schaben, zeichnete die Geräusche auf, stoppte den Versuch in unterschiedlichen Phasen und untersuchte die Schäden unter dem Mikroskop. Es gelang den Empa-Forschern, aus dem Geräuschchaos, das die Stahlwalze auf dem Gusseisen erzeugte, die entscheidenden Hinweise herauszuhören. Die Forscher erkennen das Fressen nun mit 80-prozentiger Sicherheit. Noch wichtiger: Die entscheidende Phase des Vorfressens kann mit 65-prozentiger Sicherheit erkannt werden, und zwar einige Minuten vor dem katastrophalen Ende. Das würde genügen, um viele Industriemaschinen rechtzeitig zu stoppen und vor schweren Schäden zu bewahren.
Qualitätsüberwachung beim 3-D-Druck
Das jüngste Projekt des Empa-Teams widmet sich dem «Additive Manufacturing» (AM), dem Herstellen von metallischen Bauteilen aus Metallpulver, das von einem Laserstrahl aufgeschmolzen wird. Dieses neuartige Herstellungsverfahren kommt ohne Gussformen aus und eignet sich perfekt für geometrisch komplexe Einzelstücke. Doch bis heute ist es nötig, die Prozessparameter (z. B. Laserleistung und -geschwindigkeit, Pulverspezifikation) für eine bestimmte Legierung oder Anwendung genauestens einzuhalten. Jede Abweichung kann zu Poren, Rissen oder Eigenspannungen im Werkstück führen und es unbrauchbar machen. Wasmer und seine Kollegen kombinierten akustische Sensoren mit maschinellem Lernen und analysierten die Messdaten mit einem erst 2016 beschriebenen Algorithmus namens SCNN («Spectral Convolutional Neural Network»). Mit dieser maschinellen Lernmethode gelang es ihnen, mit einer Trefferquote von über 83 Prozent zu unterscheiden, ob das Laserschmelzen zu heiss oder zu kalt ablief und damit unerwünschte Poren erzeugte. Die Ergebnisse erschienen im Mai 2018 im Fachjournal "Additive Manufacturing".
Zuhören beim Laserschweissen
Die Forscher sind zuversichtlich, dass sich die Methode nicht nur auf Laser-3-D-Drucker anwenden lässt. Auch andere AM-Verfahren wie Laser-Sintern, Stereolithografie oder Multijet-Printing laufen nach ähnlichen physikalischen Prinzipien ab. Die Empa-Methode zur Prozess- und Qualitätsüberwachung in Echtzeit könnte also bei all diesen Verfahren einsetzbar sein. Schon jetzt hat ein Industriepartner vom Know-how der Gruppe profitiert: Die Firma Coherent Switzerland mit Sitz in Belp stellt seit nunmehr 44 Jahren Laserquellen und Bearbeitungsköpfe für Lasermaschinen her. Dank der Arbeit des Empa-Teams verfügt die Firma bald über ein Sensorsystem, das den Laserbearbeitungsprozess optisch überwacht und dokumentiert. Die so gewonnenen Daten helfen, zukünftige Laserprozesse zu optimieren und den hohen Qualitätsstandard zu halten, den etwa die Automobilindustrie von ihren Zulieferern fordert.